Natürlich. Ich arbeite in der IT. „Selfservice-Portale“ sind hier Alltag geworden. Gott sei Dank. Oder: Leider.
Warum „leider“? Weil es ein Trend ist, der eigentlich ein Ritt auf dem Drahtseil ist. Jeder will immer alles, will es sofort, will es im Zweifelsfall „lieber schnell selbst machen“, weil man bei Anderen auch manchmal warten muss.
Jeder kennt diesen Gedanken, den man oft genug hat: „Ey, das dauert nur 2 Minuten, warum muss ich da jetzt eine Stunde drauf warten?“
Geduld ist eine Tugend des 20. Jahrhunderts. Oftmals leider überholt und in Zeiten, in denen man jede Information von irgendwo auf der Welt binnen Sekunden am anderen Ende der Welt hat, ist Warten keine Option mehr.
Warum ich (und nicht nur ich) aber dennoch kein Freund von den vielen Selfservice-Portalen bin? Weil ich vieles daran nicht will.
a) Verantwortung. Wenn ich in irgendeinem Portal auf irgendetwas klicke und dann nicht das passiert, von dem ich denke, dass es passiert, dann hab ICH es kaputt gemacht.
b) Know-How. Wenn ich in irgendeinem Portal auf irgendetwas klicke, aber dann gar nicht das dabei rauskommt, was ich eigentlich haben möchte, hat derjenige, der es reparieren muss, noch mehr Arbeit.
c) Wegfall von Arbeitsplätzen. Klar, jedes Selfservice-Portal muss von Fachkräften erstellt werden und bei jedem Selfservice hält meist noch eine Fachkraft ein Auge drauf. Aber bis zum Ende gedacht, braucht es am Ende nur noch 2 statt 4 Fachkräfte bis zur Fertigstellung, danach ggf. noch eine überwachende Person und dann sind alle vorher notwendigen Arbeitsplätze wegrationalisiert, weil sie durch den Selfservice überflüssig werden.
Wir haben es schwer genug, im demographischen Wandel die jetzt in Rente gehende Generation zu versorgen. Das Internet, der digitale Wandel, der bereits jetzt immer weiter wachsende Trend von „Selfservice“, all das kostet jeden Tag Arbeitsplätze.
Im Supermarkt steht nur noch 1 Mitarbeiter an 4 Selfservice-Kassen. Zum Helfen im Problemfall und zum Überwachen, dass auch alles gescannt wird. Hey, ich WILL meine Sachen nicht selbst scannen!! Ich pack den Wagen aus, irgendwer scannt es, überprüft mit geschultem Auge, ob da auch alles richtig läuft und sagt mir am Ende des Kassiervorgangs, was ich zu zahlen habe. Warum soll ich das selbst tun? Für mich ein Grund, einen solchen Supermarkt zu meiden!
Versteht mich nicht falsch. Ich stelle mich nicht grundsätzlich gegen den Fortschritt. Und auch nicht gegen die Technik. Ich lebe von IT und deren Entwicklung. Aber bis wohin ist dieser Trend noch gesund? Wo fängt es an, absurd zu werden?
Stehe ich in 2 Jahren bei McDonalds nicht mehr nur an diesem dämlichen Bestell-Terminal (was auch gern wieder abgeschafft werden könnte!) sondern danach auch noch an einem Burger-Zubereitungsplatz und bekomme die Zutaten, die zu meinem Burger gehören, über 6 Förderbänder automatisch angeliefert und ein Display zeigt mir, in welcher Reihenfolge ich mir den Burger zusammenbauen muss?
Kriege ich in der Autowerkstatt nur noch eine Anleitung, wie ich in einem defekten Steuergerät Kabel und Stecker abziehe, einzelne Platinen tausche und nach korrekter Verkabelung dann wieder alles ins Auto einbaue, damit dann die Motorsteuerung wieder optimal ist?
Oh. Während das McDonalds Beispiel noch irgendwie lustig und vorstellbar klingt (da kann man sicher einige Arbeitsplätze einsparen, denn die kosten schließlich nur Geld), klingt das zweite Szenario schon irgendwie unkomfortabler. Wer würde hingehen und einfach Bauteile seiner Steuergeräte tauschen? Umbau auf eigene Gefahr. Selfservice. Anleitung und Werkzeug werden zur Verfügung gestellt, aber basteln musst du, lieber Autofahrer, leider nun selbst.
Komisch. Ich kann quasi fühlen, wie hier erste Stimmen laut werden, die sagen „naja, DAS möchte ich eigentlich nicht tun (müssen)“.
Vieles hat sich bereits so etabliert, dass wir gar nicht mehr drüber nachdenken. Onlinebanking – Wer nutzt es nicht? Aber egal, wie oft auf die Sparkasse geschimpft wird (sei es wegen der Preise, etc.), dort treffen an vielen Stellen noch Menschen die Entscheidung. Und die drücken auch mal ein Auge zu, wenn man freundlich ist und sich nichts zu Schulden hat kommen lassen. Keine KI und kein Selfservice werden jemals dieses Entgegenkommen mit sich bringen.
Ich könnte sicherlich noch eine lange Liste an Beispielen folgen lassen, in denen Selfservice und KI zukünftig Arbeitsplätze wegrationalisieren können. Aber: Egal, wie sehr wir unser Schulsystem von Jahr zu Jahr vereinfachen, egal, wie sehr die Lehrer bemüht sind, nun jedem Kind gerecht zu werden, fest steht: Nicht jedes Kind hat die Veranlagung, Raketenwissenschaft, IT, Atomphysik oder sonst etwas Anspruchsvolles zu studieren, sondern es bedarf auch Arbeitsplätze für die Vielzahl der Menschen, die nicht mit einem IQ von 100+ gesegnet sind.
Mein Fazit: Nicht alles, was Zeit und Arbeitsplätze einsparen und rationalisieren kann, ist zukunftstauglich. Der soziale Faktor, auch Arbeitsplätze für durchschnittlich begabte Menschen zu erhalten, muss in der Unternehmer-Kultur verankert bleiben. Und auch der menschliche Faktor, der mit Selfservice und KI immer mehr weggekürzt wird, ist nicht automatisch etwas Schlechtes.
Darum: Liebe (Groß-)Konzerne, etc., überlegt euch vielleicht noch einmal mehr, ob es auch im Sinne eurer Kunden ist, dass diese alles selbst machen können/sollen, anstatt dass es eure Fachkräfte tun, bloß weil die Kunden für die Arbeit nicht bezahlt werden müssen! Eure Belegschaft wird es euch auf jeden Fall danken!
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